In der Psychologie und der Wissenschaft von zwischenmenschlichen Beziehungen ist der Bindungsstil ein Thema von wachsendem Interesse und Relevanz. In diesem Artiekl möchte ich Informationen über den desorganisierte Bindungsstil liefern, der auch als ambivalenter-vermeidender Bindungsstil bekannt ist.
Was ist der desorganisierte Bindungsstil?
Der desorganisierte Bindungsstil ist gekennzeichnet durch eine Ambivalenz in der Nähe-Distanz-Dynamik von Beziehungen. Personen mit diesem Bindungsstil können sowohl nach Nähe und Intimität sehnen als auch diese gleichzeitig fürchten und sich emotional zurückziehen, wenn die Nähe zu intensiv wird. Die komplexe Mischung aus gegensätzlichen Emotionen und Verhaltensweisen, kann eine Herausforderung für die Stabilität und Harmonie von Beziehungen darstellen.
Wie fühlt es sich in der Welt eines Menschen mit dem desorganisierten Bindungsstil an?
Menschen mit einem desorganisierten Bindungsstil können sich oft innerlich zerrissen und unruhig fühlen. Sie sehnen sich nach Nähe und Verbindung, nach einem Gefühl von Geborgenheit und Zugehörigkeit. Doch gleichzeitig fürchten sie sich vor den damit verbundenen Risiken wie Ablehnung oder Verletzung. Diese inneren Konflikte können zu einem ständigen Kampf zwischen dem Wunsch nach Nähe und dem Bedürfnis nach Distanz führen. In Momenten der Nähe und Intimität können sie sich ängstlich oder überfordert fühlen, vielleicht sogar das Gefühl haben, die Kontrolle zu verlieren. Diese Ängste können alte Wunden aus der Vergangenheit reaktivieren, sei es durch Vernachlässigung, Missbrauch oder andere traumatische Ereignisse. Auf der anderen Seite kann das Bedürfnis nach Distanz und Unabhängigkeit eine Schutzmauer darstellen, hinter der sie sich sicher fühlen. Sie könnten sich zurückziehen, um sich vor potenziellen Verletzungen zu schützen, oder um ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Doch selbst in Momenten des Rückzugs können sie sich einsam und isoliert fühlen, da sie sich nach tiefer Verbindung sehnen, aber gleichzeitig Angst davor haben, verletzt zu werden. Diese emotionalen Achterbahnen können zu einem ständigen Gefühl der Unruhe und Unsicherheit führen, das ihre Beziehungen belastet und ihre Fähigkeit, Vertrauen aufzubauen, beeinträchtigt.
Woran erkennt man diesen Bindungsstil?
Die folgenden Merkmale spielen hier eine Rolle:
1. Ambivalenz und Widersprüchlichkeit:
Personen mit einem desorganisierten Bindungsstil können zwischen Bedürfnissen nach Nähe und dem Wunsch nach Distanz hin- und herschwanken. Sie können oft ambivalente Gefühle gegenüber Nähe und Distanz erleben. Sie sehnen sich nach Nähe und Sicherheit in ihren Beziehungen, haben aber gleichzeitig Angst davor, verletzlich zu sein oder abhängig zu wirken. Dies kann zu einer Inkonsistenz in ihren Handlungen und Reaktionen führen. In den Beziehungen mit ihnen gibt es oft Phasen der extremen Nähe, Intensität und Tiefe in der Verbindung. Oft triggert so eine Phase die Angst und sie ziehen sich aus Selbstschutz zurück.
2. Unvorhersehbarkeit:
Desorganisierte Bindungsstile können sich in unvorhersehbarem und impulsivem Verhalten manifestieren. Betroffene können zwischen extremen Emotionen und Verhaltensweisen schwanken. Sie tragen Wunden aus der Vergangenheit, die immer wieder berührt werden und starke Gefühle und Reaktionen auslösen. Auch sind Stimmungsschwankungen ein häufiges Thema. Der desorganisierte Bindungsstil kann von extremer Nähe und Zuneigung zu plötzlicher Distanz und Kälte übergehen, ohne dass für ihre Partner offensichtliche Gründe erkennbar sind.
3. Angst vor Ablehnung und Verlust:
Menschen mit einem desorganisierten Bindungsstil können übermäßig empfindlich auf jegliches Anzeichen von Ablehnung reagieren. Selbst kleine Hinweise darauf, dass sie nicht akzeptiert oder geliebt werden könnten, können zu starken emotionalen Reaktionen führen. Die Angst vor Ablehnung und Verlust kann dazu führen, dass betroffene Personen versuchen, sich vor potenzieller Verletzung zu schützen. Sie könnten sich emotional zurückziehen oder Distanz zu ihren Partnern halten. Zu den Selbstschutzmechanismen gehören das Vermeiden von Risiken in Beziehungen, das Unterdrücken von Gefühlen oder das Vermeiden von Verletzlichkeit, um sich vor potenziellem Schmerz zu bewahren.
4. Vermeidung von Nähe:
Obwohl sie sich nach Nähe sehnen, können Menschen mit einem desorganisierten Bindungsstil dazu neigen, Nähe zu vermeiden oder sich zurückzuziehen, wenn sie sich zu verletzlich fühlen, verletzt wurden oder bedroht fühlen. Dieses Verhalten kann dazu führen, dass sie sich in einer ständigen Achterbahn zwischen dem Wunsch nach Nähe und der Angst vor ihr befinden. Die Vermeidung von Nähe kann ausserdem mit der tiefen Angst vor dem Verlust der eigenen Identität verbunden sein. Betroffene könnten befürchten, dass sie ihre Autonomie oder Selbstständigkeit aufgeben müssen, um in einer Beziehung zu bleiben, was zu einer inneren Konfliktsituation führen kann.
5. Probleme mit Bindungsgrenzen:
Eine der Herausforderungen für Menschen mit einem desorganisierten Bindungsstil besteht darin, klare und gesunde Grenzen in ihren Beziehungen zu setzen. Sie könnten Schwierigkeiten haben, zu erkennen, wo ihre eigenen Bedürfnisse enden und die ihres Partners beginnen, was zu Verwirrung und Konflikten führen kann.
Ein weiteres Problem mit Bindungsgrenzen bei desorganisierten Bindungsstilen ist die Tendenz zur Verschmelzung oder Distanzierung. In manchen Momenten könnten sie sich so stark mit ihrem Partner identifizieren, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse vernachlässigen, während sie in anderen Momenten versuchen, sich vollständig von der Beziehung zu distanzieren.
Wie entsteht der desorganisierte Bindungsstil?
Der desorganisierte Bindungsstil hat seine Wurzeln oft in frühkindlichen Beziehungserfahrungen, insbesondere in traumatischen oder instabilen Umgebungen. Hier sind einige Faktoren, die dazu beitragen können, dass sich dieser Bindungsstil entwickelt:
Frühe Bindungstraumata:
Kinder, die früh in ihrem Leben traumatische Erfahrungen gemacht haben, wie zum Beispiel Missbrauch, entwickeln in der Regel einen desorganisierten Bindungsstil. Missbrauch in jeglicher Form - sei es körperlich, emotional oder sexuell - kann schwerwiegende Auswirkungen auf die Entwicklung eines Kindes haben. Kinder, die Missbrauch erleben, können ein tiefes Misstrauen gegenüber anderen Menschen entwickeln und Schwierigkeiten haben, anderen zu vertrauen. Sie könnten lernen, dass Nähe mit Schmerz und Angst verbunden ist, was zu einem widersprüchlichen Verhalten in Beziehungen führen kann. Diese traumatischen Ereignisse können das Vertrauen und die Sicherheit beeinträchtigen, die für die Entwicklung einer sicheren Bindung erforderlich sind.
Auch spielte in der Regel ein Verstrickungstrauma (aus dem Englischen Begriff "enmeshment trauma" übersetzt) eine große Rolle in der Kindheit von dem desorganisierten Bindungsstil. Ein Verstrickungstrauma besteht, wenn das Kind stark in die Emotionen, Bedürfnisse und Identität einer anderen Person. Das Wort bezieht sich auf eine Verschmelzung oder Verstrickung von Grenzen zwischen zwei oder mehreren Personen. In einer "Verstrickten-Beziehung" können individuelle Grenzen verschwimmen, und es kann schwierig sein, zwischen den Bedürfnissen und Identitäten der beteiligten Personen zu unterscheiden. Es entsteht oft durch eine Abhängigkeit der Bezugsperson vom Kind, um ihre eigenen emotionalen oder psychologischen Bedürfnisse zu erfüllen. Dieser Verlust der individuellen Identität kann zu einem Gefühl der Entfremdung und Selbstentfremdung führen, ja zu einer fehlenden Selbstidentität, da diese nie entwickelt werden konnte.
Instabile Bezugspersonen und/oder Umfeld:
Diese Instabilität kann verschiedene Formen annehmen und kann sich auf unterschiedliche Weise auf das Kind auswirken:
Bezugspersonen, die emotional inkonsistent sind, können unvorhersehbar in ihrem Verhalten und ihren Reaktionen sein. Sie könnten liebevoll und unterstützend sein, aber auch plötzlich distanziert oder abweisend. Diese Inkonsistenz kann beim Kind Verwirrung stiften und zu einem unsicheren Bindungsstil führen, da es Schwierigkeiten hat, die Reaktionen seiner Bezugspersonen vorherzusehen und darauf angemessen zu reagieren.
Bezugspersonen, die unvorhersehbares Verhalten zeigen, können das Kind dazu veranlassen, sich unsicher und ängstlich zu fühlen. Sie könnten sich nie sicher sein, wie ihre Bezugspersonen reagieren werden, was zu einem erhöhten Stressniveau und einer ständigen Wachsamkeit führen kann. Diese Unvorhersehbarkeit kann das Vertrauen des Kindes in seine Bezugspersonen erschüttern und seine Fähigkeit beeinträchtigen, enge Beziehungen aufzubauen.
Ein instabiles Umfeld kann entstehen z.B. durch häufige Umzüge. Kinder erleben somit keine Kontinuität in ihren Beziehungen und ihrer Umgebungen. Bei jedem Umzug müssen Kinder sich an neue Umgebungen und soziale Kreise anpassen. Dies kann es schwierig machen, langfristige Bindungen aufzubauen und ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität zu entwickeln, was wiederum die Entwicklung eines sicheren Bindungsstils beeinträchtigen kann.
Heilung des desorganisierten Bindungsstils
Es ist wichtig zu verstehen, dass Bindungsstile nicht in Stein gemeißelt sind und dass Heilung und Veränderung möglich sind. Mit der richtigen Unterstützung, Achtsamkeit und Arbeit an sich selbst kann der desorganisierte Bindungsstil geheilt und in einen sicheren Bindungsstil verwandelt werden. Professionelle Hilfe durch Therapie oder Coaching kann einen bedeutenden Unterschied machen. Durch die Arbeit mit einem qualifizierten Therapeuten können tiefliegende Wunden geheilt und gesunde Bindungsmuster entwickelt werden.
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